Die ersten 10 Tage in der Lachnerklinik (München)

Aus Sicht der Mutter

Ich fragte die Stationsschwester, wo eigentlich die Lachnerklinik zu finden sei. Ich erhielt dann die Auskunft, es sei ganz in der Nähe, etwa zehn Minuten zu Fuß oder noch schneller mit dem Auto.

So kurz nach dieser Geburt bevorzugte ich die Variante mit dem Auto. Also rief ich Thomas an, setzte ihn von den neuen Umständen in Kenntnis und wartete auf ihn.

Gegen 17.00 Uhr suchten wir unser Baby dann in der Lachnerklinik. Auch hier hatte KEVIN sich die Intensivstation ausgesucht. Es waren auch gleich noch ein paar Kabel mehr an ihm zu sehen. Hier ging auch schon ein Schlauch für die Magensonde durch seine kleine Nase. Die Sauerstoffdusche war mittlerweile kein Schlauch mehr neben ihm, sondern eine sogenannte Sauerstoffbrille direkt vor der Nase, liebevoll mit herzförmig zugeschnittenen Pflastern auf beiden Wangen fixiert. Als ich fragte, wann ich ihn denn anlegen dürfe, hieß es jetzt nur, dafür sei er zu schwach, aber was ich abpumpe, bekommt er per Sonde. Ich dachte nur, dass es ja wohl dann mal so langsam Zeit wäre, den dafür notwendigen Milchfluss auch mal zu stimulieren. Das schob ich aber erstmal beiseite, die Zeit mit meinem Baby war mir wichtiger. Ich durfte ihn im Liegestuhl sitzend zum ERSTEN MAL auf dem Arm halten. Das kleine Mäuschen schlief auf meiner Brust tief und fest .Thomas filmte uns und machte einige Fotos. Die Besuchszeit ging bis 20.00 Uhr. Wir mußten dann gehen. Die Gefühle, die sich einstellen, wenn man sein gerade geborenes Baby zurücklassen muß, lassen sich eigentlich nicht beschreiben. Dieses Gefühl hat sich auch bis zum Ende nicht gegeben. Bei jeder Verabschiedung durchlebte ich dieses emotionale Chaos.

Ich bat Thomas, mir mein Auto noch heute nacht irgendwie vorbeizubringen, damit ich morgen auf niemanden warten muß und gleich zu KEVIN fahren kann. Nachts um 23.00 Uhr hatte ich es dank meiner Schwester Kathrin, die gerade in München arbeitete und bei uns wohnte, auf dem Parkplatz stehen.

Zurück in der Taxisklinik begab ich mich auf die Wöchnerinnenstation, um mich mit der Thematik "Milchpumpe" anzufreunden. Eine recht nette Schwester wies mich ein und freute sich, dass ihre und meine Bemühungen sogar schon mit Erfolg gekrönt waren.

Später bat ich die Nachtschwester meiner Problemstation, mich nachts zu wecken, damit ich erneut abpumpen kann. Dies passierte auch wunschgemäß. Ich war zwar wahnsinnig müde, aber ohne Anregung kommt schließlich auch keine Milch.

Morgens wurde ich dann geweckt, weil die Betten gemacht werden mussten. Ich bat darum, dass man dieses doch bitte in meinem Falle zukünftig unterlassen möchte, ich wolle wenigstens bis zum Frühstück schlafen dürfen. Auch dieses klappte in zukunft einwandfrei.

Ich denke, dass ich den Schwestern auch total leid tat. Sie konnten ja auch nichts anderes, als den Anweisungen der Ärzte zu folgen.Sie waren auch immer sehr lieb und fürsorglich. Vermutlich hatte sich meine Einleitungsgeschichte rumgesprochen.

Freitags fuhr ich direkt nach dem Duschen, Frühstücken, Abpumpen und Einpacken der Milchvorräte zu KEVIN. So ganz leicht fiel mir das nicht. Es war zwar nur ein kurzer Weg, vielleicht knapp 2 km, aber der Kreislauf scheint nach einer Geburt tatsächlich doch ganz schön im Keller zu sein. Auch mußte ich feststellen, dass so einige Bewegungen (z.B. Ein- und Aussteigen) absolut nicht "dammschnittgeeignet" sind. Einer der Fäden riss in dieser Zeit viel zu früh. Dieses hat ausser mir aber auch niemand bemerkt, da ich aufgrund der Tatsache, dass ich fast nur in der Kinderklinik war, stets an sämtlichen Untersuchungen vorbeigekommen bin. Es kam auch keine Wochenbettgymnastik für mich in Frage, da sie zeitgleich mit der Besuchszeit der Kinderklinik lief. Ich zog es in dieser Zeit vor, bei meinem Kind zu sein, als meinen Beckenboden zu trainieren. Ich ging ja ohnehin davon aus, dass es sich hier um einen vorrübergehenden Zustand von wenigen Tagen handelt und man danach ganz normal alles nachholen kann.

Mittags fuhr ich wieder in die Taxisklinik, meldete mich bei den Schwestern zurück, aß mein kaltes Mittagessen, ging hoch zur Milchpumpe und versorgte meine Wunden. Danach war es schon Zeit, mich wieder abzumelden, um in die Kinderklinik zu fahren.

Nachmittags gegen 17.00 Uhr kam auch Thomas. Wir wunderten uns noch über die Aussage einer Ärztin, die meinte, der Kleine liege hier ja nur zum päppeln bis zur OP!? Mit diesen Worten konnten wir gar nichts anfangen. Unser leichter Herzfehler würde hier doch angeblich nur beobachtet, KEVIN solle doch gar nicht operiert werden, erwiderten wir entrüstet. Es schauten zwar alle Schwestern etwas komisch, aber die Ärztin war sowieso schon wieder weg. Wir hatten an diesem Tag noch ein Gepräch mit dem Professor und Leiter der Kinderklinik. Dieser entschuldigte sich bei uns, dass er bei diesem Konsil am 20. März unseren KEVIN nicht
persönlich geschallt habe sondern nur die Bänder angesehen hatte. Er hätte ansonsten auch diese " Entwarnung" nicht mitunterschrieben. Die linke Herzseite sei nach wie vor sehr klein, aber seiner Meinung nach nicht ZU klein. Solange der Ductus noch offen sei, könne man auch nicht sagen, ob sie überhaupt ausreichen werde. Wir warten jetzt darauf, was passieren würde, wenn sich dieser Ductus schließen würde, und ob dann die linke Seite mitkommen würde. Darüber hinaus vermutete der Professor eine Aortenisthmusstenose. Auch dieses würde sich aber erst mit dem Ductusverschluß bestätigen und solange bedarf der Kleine intensivmedizinischer Beobachtung. Es könne auch sein, dass diese

Stenose vorliege und sofort eine OP notwendig wäre. Die Trikuspidaldysplasie müsse sich darüberhinaus auch noch zurückbilden, der rechte Vorhof sei nach wie vor noch sehr stark vergrößert. Man könne all dies aber momentan nicht genau sagen, man müsse halt abwarten. KEVIN würde, so wie er meinte, vermutlich noch drei bis vier Wochen hier liegen und erst dann nach Hause kommen.

Wie vor den Kopf geschlagen nahmen wir dies alles auf. Und wieder fanden wir uns inmitten dieser Internetsites über hypoplastische Linksherzen wieder.

Also ... - umdenken! -

Neues Ziel:

Unser KEVIN, der da so lebendig süß da liegt, dem man doch gar nichts ansieht, wird nicht sterben. Das linke Herz wird reichen. Unser Mäuschen verschließt den Ductus ganz heimlich, ohne dass irgendjemand was bemerkt. Das linke Herz kommt gut mit und schlägt einwandfrei. Ein Kontrollultraschall wird uns dann sagen, er kann jetzt mit nach Hause, alles wird gut und wir müssen nur noch die Trikuspidalis im Auge behalten.

Damit hielten wir uns die nächsten Tage über Wasser.

Ich pendelte nur zwischen zwei Kliniken hin und her. Natürlich fiel ich auch durch sämtliche normalen Wöchnerinnenraster.

Auch ich als Mutter ohne Kind im Schiebewagen hatte einen Milcheinschuß, man soll es nicht glauben! Dieser verlief auch soweit erträglich, ich hatte ja meine Problemstationschwestern, die mich mit Kühlakkus versorgten. Das war samstags.

Nur leider hatte ich nie ein Baby an der Brust, dass für den normalen Milchfluss hätte sorgen könne. Wenn ich beispielsweise mitten im Verkehr an der roten Ampel stand, konnte ich nur hoffen, dass diese "Dinger" trotz, gerade abgepumt und versorgt durch Kühlakkus, nicht bis zur Kinderklinik und der nächsten Pumpmöglichkeit platzten. Ich habe nach dem Milcheinschuss versucht, die Stunden zwischen dieser Pumperei, solange es irgendwie geht, herauszuzögern. Es hat alles nicht viel genutzt. Nach dieser kurzen Zeit hatte ich soviel Milch, ich hätte die gesamte Neugeborenenstation versorgen können.

Es brauchte auch zwei Tage, bis die Schwestern der Neugeborenenstation mich überhaupt in dieser Hinsicht als "problematisch" einstuften. Sie haben mich ja auch kaum zu Gesicht bekommen und ohne Baby dabei ist man vermutlich nicht so glaubwürdig. Über den Zustand, dass ich immer alleine ohne Baby, ohne Schlafanzug und Morgenmantel sondern in "Normalklamotten" von irgendwoher (Lachnerklinik) auf der Neugeborenenstation eintrudelte, um an diese blöde Pumpe zu kommen während andere Frauen ihre Babies bei sich hatten und mir auch noch Fragen stellten, wo ich denn so herkomme und wo denn mein Kind ist, möchte ich mich nicht weiter auslassen.

Als dann die Tragweite meiner Milchüberproduktion erkannt wurde, hatte ich Termine im Kreissaal zur Akkupunktur, damit meine Milchstaus sich entleeren können und darüberhinaus bekam ich noch Abstilltabletten. Dieses spielte sich alles in der Zeit zwischen Samstag und Sonntag nach KEVINs Geburt ab. Mittlerweile fühlte ich mich, als wäre ich Pamela Anderson nach einer schlechten Schönheits-Op. KEVIN hätte sich sicher darüber gefreut, aber er hatte nicht viel davon. Ich glaube, selbst dem behandelnden Arzt lief in Anbetracht meiner Oberweite das Wasser im Munde zusammen. Erst versuchte er mir noch einzureden, ein Milcheinschuss sei manchmal etwas schmerzhaft, aber als ich dann "auspackte", war er nur noch sprachlos.

Mein Ziel, montags die Klinik zu verlassen, war somit hinfällig. Ich kam noch einen Abend länger in den Genuß von Akkupunkturnadeln und Lavendelöl-Quarkwickeln und Pravidol (Abstilltabletten). Am Dienstag morgen wurde ich "brustbezüglich" als nicht mehr akut angesehen , meine Abschlussuntersuchung war zufriedenstellend und ich wurde entlassen.

Koffer ins Auto - und ab zu KEVIN.

Mittags fuhr ich dann heim.

Meine Ankunft zuhause hätte ich mir lieber mit Baby gewünscht. Simon war kurz vor KEVINs Geburt mit seinem Vater in den Urlaub geflogen und wurde erst Gründonnerstag zurückerwartet. Wenigstens brauchte ich mir um ihn nicht auch noch Gedanken zu machen. Eric ging in die Schule und wartete auf die Osterferien. Thomas war zur Arbeit. War schon komisch, in so eine ruhige Wohnung zu kommen. Alles kam mir total fremd vor.

Ich mußte auch noch irgendwo so eine blöde Intervallmilchpumpe auftreiben, zuhause hatte ich ja keine und leider auch kein Baby. So pilgerte ich mit meinem Rezept in der Hand durch mehrere Apotheken. Sowas scheint kein Mensch zu brauchen, jedenfalls nicht im Münchner Norden. Falls überhaupt Milchpumpen vertrieben wurden, dann manuelle. Sowas kam für mich nicht in Frage. Endlich hatte ich von zuhause aus per Telefon eine Apotheke gefunden, nachdem mir die Fahrerei zu blöd wurde. Also ins Auto und abholen, die Brust "schrie" schon. Wieder zuhause, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass dieses Ding überhaupt keine Intervallpumpe war! Ich hätte für jedes Abpumpen Stunden gebraucht! Wieder anrufen, erklärt bekommen, das man sich dann wohl geirrt hätte, die Intervallpumpe stehe noch hier. Toll, erklärt das bitte meinen Brüsten! Nochmal los zum Umtauschen. Eine knappe Stunde später endlich abpumpen. Trotz dieser Hetzerei hielt es mich nicht lange daheim. Rechtzeitig zur Besuchszeit wollte ich wieder in der Kinderklinik sein. Jetzt waren die Wege zeitlich auch nicht mehr so schnell zu schaffen. Für diese ca. 15km mußte man schon, je nach Tageszeit, mindestens eine gute halbe Stunde Fahrzeit einkalkulieren.

Nach der Arbeit kam Thomas noch hinterhergefahren.

Heute hatte der Professor KEVIN wieder ge(ultra)schallt. Er meinte zu uns, so langsam könne man vorsichtig optimistisch werden, die linke Herzseite scheine ihm etwas größer vorzukommen. Der Ductus wäre aber nach wie vor etwa 3mm auf.

Als ich nachfragte, ob KEVIN denn immer noch zu schwach sei, um angelegt zu werden, hieß es, das würde deshalb nicht gehen, weil er eine Fazialisparese auf der linken Seite habe. Man hätte uns dieses sicher schon gesagt.

Ich verstand gar nichts.

Wir wurden dann aufgeklärt, dass diese Parese wohl duch die Geburt entstanden ist. Während der langen Pressdauer hat er im Becken festgeklemmt und dabei muss der Fazialisnerv geschädigt worden sein. Ob sich das wieder legt, müsse man abwarten. Momentan würde es ihn beim Saugen beeinträchtigen, daher die Magensonde.

Auch das noch! Es reicht doch schon dieser Herzfehler!

Wenn ich in diesem Moment meinen Einleitungspränataldiagnostiker vor mir stehen gehabt hätte, ich weiss nicht, was dann passiert wäre!

Sicher haben wir gesehen, dass unser Mäuschen den Mund etwas schief zieht, wenn er mal meckert. Aber erstens war er meistens recht zufrieden und schlief friedlich, so dass er nicht viel meckerte und zweitens dachten wir, das sei einfach kevintypisch. Es sah ja auch putzig aus. Die Furche zwischen Mund und Nase war auch etwas schief, das führten wir bis dahin aber auf den Schlauch der Magensonde zurück, der durch die Nase ging. Auch war das linke Auge immer etwas eher ganz auf als das rechte. Auch dies fanden wir bis dahin aber in unserer Naivität nicht auffällig. Wer kennt sich schon mit Fazialisparesen aus! Außerdem habe ich ihn ohnehin fast nie wach erlebt, er schlief ja auf dem Arm immer sofort grunzend ein. Einerseits war das für mich zwar ein bischen schade, andererseits dachte ich, dann scheint er es zu genießen und fühlt sich wohl.

Die erste Nacht zuhause war eigenartig.

Man ist hier und eigentlich doch nicht hier. Man wird die ganze Zeit das Gefühl von Amputation nicht los. Selbst das Bett fühlt sich anders an, als wenige Tage zuvor mit Babybauch. Hier konnte ich auch das erste Mal endlich weinen...

Mittwoch morgen konnte ich nach Sichtung des Kleiderschrankes feststellen, dass alle Jeans aus der Zeit vor der Schwangerschaft wieder passten. Dieses wertete ich für mich einfach mal positiv. Zynisch stellte ich trotzdem fest, dass dieses eigentlich nicht Ziel des "Wochenbettes" sein sollte.

In der Kinderklinik fragte ich dann den diensthabenden Arzt, ob es denn NOCH irgendetwas an Ergebnissen gäbe, was wir wissen sollten. Er blätterte die Unterlagen durch und meinte, nein, es wäre diese Facialisparese und die Trikuspidalis. Das Ergebnis des Neugeborenenscreenings stünde noch aus. Somit war ich erst einmal beruhigt.

Wieder mittags nach Hause, damit Eric hier nach der Schule auch jemanden vorfindet - Nachsorgehebamme anrufen, damit sie auch mal mitgeteilt bekommt, dass das Baby schon da ist. Sowas hatte ich natürlich gestern vergessen, zu erledigen. Sie kündigte sich für den nächsten Tag, also Gründonnerstag, an.

Zurück zur Lachnerklinik.

Mein Mäuschen schlief mal wieder tief und fest auf meiner Brust...

Wie immer kam Thomas nach der Arbeit auch noch. An dem Tag gab es auch ansosten keine Neuigkeiten. Wie immer mußten wir um 20.00 Uhr gehen.

An diesem Abend telefonierte ich mit meinen Eltern und teilte ihnen mit, dass ihr Enkel schon da ist. Sie wußten noch gar nichts davon, weil sie in den Urlaub geflogen waren und erst Mittwochabend zurückkamen. Wir hatten ihnen vorher auch nichts von der Diagnose "Herzfehler" gesagt, weil wir ihnen den Urlaub nicht verderben wollten. Somit klärte ich sie an diesem Abend vorsichtig über diesen Zustand auf. Sie waren sehr bestürzt und traurig. Mama wollte sofort zu mir reisen. (Sie wohnen ca. 600km entfernt im Landkreis Göttingen). Ich konnte sie dazu überreden, erst irgendwann nach Ostern zu kommen. Ich ging davon aus, dass ich dann mit dem Mäuschen zuhause sein würde, und bestimmt ihre Hilfe dann besser brauchen könnte als momentan.

Der Vormittag des Gründonnerstag verlief ebenso, wie die Tage davor. Nachmittags konnte ich aufgrund des Hebammentermins aber nicht direkt zu Beginn der Besuchszeit da sein. Sie kam, war auch nett (ich sah sie zum ersten mal), aber leider änderte das nichts an der Tatsache, dass ich eigentlich keine Zeit für sie opfern wollte. Wir wechselten also ca. 45 min. Worte über diese grauenhafte Geburt und ich endschied, zu sagen, dass es sonst keine Probleme gibt. Falls es diese gäbe, würde ich mich melden. Sie ging dann wieder. Thomas kam gerade von der Arbeit. Zusammen konnten wir dann endlich zu KEVIN. Mit zwei Autos, weil ich vor hatte, um halb sieben schon wieder zu fahren, um Simon vom Flughafen abzuholen. Gegen 17.30 Uhr mußte ich an die Milchpumpe. Als ich wiederkam, wurde KEVIN gerade abgekabelt und in eine Decke gewickelt. Ich erschrak furchtbar, dachte er wäre plötzlich tot. Nein - glücklicherweise nicht! Er wurde nur transportfähig gemacht, um mit diesem Menschen in schwarzer Bekleidung, der daneben stand, - Thomas hielt in bis dahin für einen Computertechniker, der die Überwachungsanlagen überprüft - zum Ultraschall gebracht zu werden. Sauerstoff kam ab jetzt per tragbarer Druckflasche, alle anderen Sonden und Elektroden wurden an ein kleineres, portables Gerät angestöpselt. Thomas brauchte etwas länger, um mich wieder zu beruhigen. Dann ging es los in den Untersuchungsraum. Ich habe meinen Schatz tragen DÜRFEN. Insgeheim hoffte ich, dass dieser schwarze Mensch uns heute sagt, der Ductus ist jetzt zu, und das linke Herz kann mithalten.

Leider war das nicht der Fall.

Dieser Mensch redete während der Untersuchung - auf den Bildschirm starrend - nebenbei den Schallkopf über unseren KEVIN schiebend, irgendwas von ASD I, ASD II, VSD, Mitralis (Zweizipfelklappe) klein, und die Trikuspidalis, die noch rekonstruiert werden müsse.

Ich hörte zwar zu, kapierte aber gar nichts. Als dann noch das tragbare Kontrollgerät anfing, Alarm zu schlagen, weil die Sauerstoffsättigung abfiel, wurde ich langsam nervös. KEVIN fing auch prompt an zu schreien. Kein Wunder, von oben der Schallkopf auf kaltem Gel und die Eltern, die vor lauter Schreck immer weniger für ihn da waren. Die Sauerstoffsättigung fiel weiter, Thomas drehte zwar die Druckflasche auf, aber hielt gleich mal das Manometer in der Hand. Es zischte an allen Ecken. Als KEVIN dann mittlerweile zunehmend blauer wurde, konnte ich ein "Durchdrehen" fast nicht mehr kontrollieren. Dieser schwarze Mann ließ sich davon wenig beeindrucken. Er hatte noch die Zeit, zu erklären, dass ICH schließlich auch nicht atmen würde, wenn ich schreie. Dasselbe täte jetzt KEVIN, und deshalb laufe er blau an. Was hilft dieses Wissen, wenn der Kleine immer noch blau ist und die Sauerstoffflasche auseinanderfällt! Thomas gab mittlerweile 8 bar auf dieses Manometer, ich rief nur, er soll das runterdrehen, sonst puste es dem Kurzen das Gehirn raus. Das war aber überflüssig, bei KEVIN kam ja nichts an, das Leck war davor. Minuten später wurde diese undichte Verschraubung dann endlich gefunden und die Panik legte sich langsam. Ich fragte diesen Menschen, was er da eigentlich für einen Mist geredet hatte, hier liegt doch KEVIN mit seiner Trikuspidaldysplasie. Was soll das Gerede von ASD, VSD, usw.??!!

Dieser Mensch meinte nur , er kenne KEVIN, das wären doch auch längst bekannte Befunde. Er hätte ihn doch schon vor seinem heute endenden Urlaub geschallt. Warum das dann bitte auf der Station keiner wüsste, wollte ich wissen. Er meinte nur, das wäre alles längst bekannt. Auf die Frage, was denn dann eigentlch überhaupt an diesem kleinen Herzen passen würde, hieß es: "Es schlägt gut!"

Jetzt gaben auch diese merkwürdigen Aussagen von anderen Ärzten Sinn, ebenso wie die mitleidigen Blicke der Schwestern...

Im nachhinein stellte sich raus, dass dieser schwarze Mensch der Oberarzt der Kinderstation war.

Total geschockt brachte ich unser Mäuschen wieder nach oben und legte es ins Bett. Ich mußte dann zum Flughafen, Thomas blieb noch bei unserem Baby. Später erzählte er mir, Kevin wäre zwei Stunden hellwach gewesen und hätte ihn mit großen Augen angeschaut. Habe ich ihn beneidet! Aber ich habe es den beiden "Männern" trotzdem gegönnt.

Das Flugzeug hatte Verspätung und ich hatte ausgiebig Zeit, mich mit diesen neuen Tatsachen auseinanderzusetzen.

Warum hat man uns Eltern das alles nicht gleich gesagt? Wir sind doch diejenigen, die dieses alles tragen müssen. Es ist doch ein Riesenunterschied zu dem bisherigen Stand.

Dann kam Simon wieder an- braungebrannt und quirlig- seine erste Frage war: "Mama, ist das Baby noch im Bauch?" Ich versuchte, ihm so gut es ging zu erklären, dass Kevin in einem Krankenhaus liegt und dass große Brüder da nicht mit rein dürfen. Er nahm es erstmal so zur Kenntnis. Ansonsten versuchte ich mich zusammenzureißen, damit er nicht merkt, wie furchtbar niedergeschlagen ich war. Ursprünglich wollte ich ja Simon mit KEVIN zusammen vom Flughafen abholen...

Dann kam Karfreitag. Jetzt mussten Thomas und ich umschichtig zu KEVIN, weil einer immer auf Simon aufpassen mußte. Die Ärzte machten meistens einen großen Bogen um uns, es war ihnen wohl unangenehm uns gegenüberzutreten.

Karsamstag wurde KEVIN zunehmend ödemiger. Seine Hautfarbe wurde auch leicht gräulich. Thomas bekam von diesem Oberarzt noch die Information, dass dieses Herz auf jeden Fall operiert werden muss und dass es nie wirklich wie ein normales Herz arbeiten wird. Für uns als Eltern reiche es aber zu wissen, unser Kind hat einen Herzfehler, der Rest sei ein rein medizinisches Problem.

Über diese Aussage hatten wir uns sehr geärgert! Wir kamen uns vor, als würden wir für dumm verkauft! Wir hatten immer versucht, uns ein detailliertes Bild über den Gesundheitszustand unseres Kindes zu machen, sogar schon pränatal nach dieser ersten Hiobsdiagnose. Thomas sagte schon damals: "Wenn es auch schwer ist, über Leben und Tod zu entscheiden, so ist es wichtig, Fakten realistisch zu betrachten und den nötigen Abstand zu gewinnen, um objektiv entscheiden zu können, "so, als wäre es Nachbars Kind". Wir mussten schließlich auch die Zukunft mit einplanen und unser Leben darauf einstellen. Aber, wenn man uns die Fakten nicht oder nur teilweise mitteilen würde, dann hätten wir als Betroffene verhältnismäßig schlechte Ausgangspositionen. Die Strategie "Schonen wir besser die Eltern" war wirklich das Letzte, was wir wollten.

Ostersonntag verschlechterte sich KEVINs Zustand rapide. Man vermutete eine Sepsis.

Thomas´ Eltern aus Unterhaching waren an diesem Tag zu Besuch, um ihren Enkel kennenzulernen. Jeweils ein erwachsener Besucher durfte zusammen mit einem Elternteil ans Bett. Weitere Personen mussten auf dem Balkon warten und sich abwechseln.

Nachmittags fuhr ich mit Simon hinterher. Eric hatte eine zu große Abneigung gegen Krankenhäuser, er wollte nicht mit. Vom Balkon aus konnte Simon seinen Bruder durch die Fensterscheibe sehen. Die Schwester stöpselte ihn ab und hielt kurz an die Scheibe, so dass Simon seinen kleinen Bruder sehen konnte. Danach machte sie den kleinen Handabdruck für ihn und schob ihn dem "großen Bruder" durch die Schiebetür zu. Simon war so stolz, das er fast platzte. Nur er hatte einen Handabdruck von KEVIN.

Thomas fuhr dann mit Simon nach Hause und ich blieb bei Kevin, zusammen mit den Großeltern. Gegen abend hieß es dann beiläufig, dass Kevin evtl. verlegt werden müsse. Als ich hartnäckig nachfragte und mehrfach betonte, dass die Zeit der Märchen jetzt vorbei wäre und ich klare Aussagen haben wollte, entschied der Arzt endlich, mich als Mutter ernst zu nehmen. Man warte jetzt den Schichtwechsel und die Übergabe ab, dann werde man den Neugeborenennotarzt bestellen. Das Herzzentrum sei schon informiert und hätte Platz. Wäre ich nichtsahnend nach Hause gefahren, hätte ich morgen ganz schon dumm geschaut, wenn mein Kind nicht mehr hier gelegen hätte! Ohne Nachhaken hätte ich das nicht gewusst und freiwillig hätte mir sicher auch keiner Bescheid gesagt. Ich rief zuhause an, um dieses mitzuteilen. Wir entschieden, Thomas bleibt solange bei den Kindern und wenn es hier losgeht, fahren seine Eltern zu uns raus und machen den Babysitter, damit er ins Herzzentrum nachkommen kann.

Um 22.30 Uhr an diesem Ostersonntag wurde KEVIN in den Neugeborenennotarztwagen geladen. Diesmal brauchte ich nicht hinterherzuschauen. Diesmal fuhr ich hinterher. Ganz langsam fuhren sie, jeder Bodenwelle ausweichend...

                                                       


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