Das erste mal im Deutschen Herzzentrum München

Aus Sicht der Mutter

Um 22.45 Uhr befand ich mich im Deutschen Herzzentrum.

Ich hatte das Gefühl, ab jetzt in einer anderen Dimension gelandet zu sein....

Den ersten Eindruck werde ich nie wieder vergessen!

Oben im 3. Stock war die Kinderintensivstation. Man stand am Anfang eines langen Flures vor verschlossenen Türen. Eine Schiebetür wurde per Pin-Code geöffnet. Ich sollte noch vorne warten, man würde erst KEVIN versorgen und mich dann holen. So starrte ich durch diese Riesenfenster in die Nacht hinaus und hoffte, dass Thomas bald kommt. Ich wurde gegen 23.30 Uhr nach vorne geholt. KEVIN lag dort in seinem Wärmebettchen, mit einigen Zugängen mehr versehen als in der Lachnerklinik. Ein Arzt sprach kurz mit mir. Er erklärte, dass er den Kleinen vermutlich bald intubieren müsse, das Atmen strenge ihn zu sehr an. Dann entschied er, dieses sofort zu machen, ich solle wieder vorne warten.
Gegen 00.00 Uhr kam dann Thomas. Wir warteten gemeinsam, bis man uns wieder zum Kind ließ. Der Anblick des Tubusses war für mich erschreckend. Mit tat der Kleine so leid! Jetzt konnte er noch nicht einmal mehr schreien, selbst wenn er dieses ohnehin nur selten gemacht hat. Ab dieser Nacht haben wir nie wieder die Stimme unseres Kleinen hören können. Zudem war uns zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass wir nie wieder zu Lebzeiten sein Stupsnäschen sehen werden (wegen der Pflaster zur Fixation des Tubusses).
Danach sprach der Arzt noch mit uns. Dieser sagte, man werde uns hier im Herzzentrum mit Sicherheit keine Informationen vorenthalten, hier tendiere man eher dahin, schonungslos offen mit den Eltern zu reden. Bisher scheine es ja so, dass einiges schief gelaufen sei.

Er fragte dann, ob wir denn überhaupt wissen, was für ein Herzfehler vorliege? Wir gaben das wieder, was wir so nach und nach in der Lachnerklinik serviert bekommen hatten.

Wir erklärten auch, dass wir im Falle eines hypoplastischen Linksherzsyndroms einer Norwood-OP voraussichtlich nicht zustimmen würden.

Der Arzt erwiderte, ginge es hierbei um sein eigenes Kind, würde er vermutlich selbst auch so entscheiden. Wir wären ja offensichtlich über dieses Thema aufgeklärt. Ja sicher, aber keinesfalls von den Ärzten sondern durch Eigeninitiative. Als wir dann die Möglichkeit der Herztransplantation ansprachen, hieß es aber, darüber wolle man mit uns jetzt nicht reden. Das stünde momentan nicht zur Diskussion. Jetzt werde man erstmal versuchen, diese Sepsis in den Griff zu bekommen, und dann werde man einen Herzkatheter durchführen. Danach werde entschieden, was man uns als Operationsmöglichkeit anbieten könne.

In dieser Nacht kamen wir um 02.00 Uhr zuhause an, schickten Thomas´ Eltern nach Hause und redeten hier noch bis in die frühen Morgenstunden. Wir entschieden, dass derjenige von uns, der bei KEVIN zu Besuch sei, ihm das Gefühl geben müsse, wir seien stark und er könne sich auf uns verlassen. Er solle nicht spüren, welchen Kummer wir hatten.

Ostermontag fuhr ich gleich morgens in die Klinik. KEVIN hatte eine graugrüne Hautfarbe und wirkte noch verquollener als tags zuvor. Er bekam gerade eine Bluttransfusion. Ich dachte bis dahin, dass man bei so einer Maßnahme eine Unterschrift der Eltern brauche. Die diensthabende Ärztin sagte, man war nach der Verlegung hierher nicht sicher, ob er die Nacht überleben würde. Es stehe nach wie vor sehr kritisch um ihn. Hätte ich gewusst, wie schlecht er eingestuft wurde, wäre ich doch letzte nacht gar nicht erst gefahren!

Ich rief meine Eltern an und teilte ihnen mit, dass sie doch lieber heute kommen sollten, falls sie ihren Enkel noch lebend kennenlernen wollten. Nachts holte ich sie dann am Bahnhof ab.

Dienstag morgen war endlich wieder Kindergarten, Simon somit gut aufgehoben. Mit meinen Eltern klingelte ich an dieser Intensivstationstür und meldete uns an: Wir können rein, müssen aber noch vorne warten, man schicke uns einen Arzt. Dieser kam auch und machte mich darauf aufmerksam, dass Großeltern hier nicht erlaubt seien. Nachdem ich ihm erklärt hatte, dass diese aber jetzt 600km gefahren seien, um ihren Enkel das erste Mal zu sehen, machte er eine Ausnahme. Nicht zuletzt, weil er dann auch wusste, dass meine Eltern vorher während der Zeit in der Lachnerklinik im Urlaub gewesen waren und wir ja bis gestern nicht dachten, dass es um KEVIN so schlecht stünde.

Oma und Opa hielten sich am Bett auch tapfer. Ich hatte sie schon etwas auf den Anblick vorbereitet und sie gebeten, wenn möglich, nicht zu weinen.

Nachmittags brachte ich meinen Vater wieder zum Bahnhof. Meine Mutter blieb den Rest der Woche hier bei uns in München uns passte auf Simon auf. So konnte ich dann immer wieder mal mit Thomas zusammen zu KEVIN.

Die Sepsis klang langsam ab, mit KEVIN ging es aufwärts. Er schlief sehr viel, war aber auch ab und zu wach. Aus den Krankenblättern konnte ich immer sehen, wann er welche Medikamente bekommen hatte, ob er jetzt echt schläft, oder wieder Rohypnol drin hat. In der Lachnerklinik war alles ohne irgendwelche stärkeren Medikamente gegangen, lediglich Lasix und Antibiotika kamen dort später zu Glukose, Elektrolyten und Sauerstoff dazu, als sich die Sepsis abzeichete .

Aber wie gesagt, wir befanden uns hier in einer anderen Dimension. Ich musste mich auch damit abfinden, dass er nicht mehr auf den Arm durfte. Ich konnte froh sein, wenn ich ihn streicheln durfte! Meistens wurde man dazu angehalten, ihn in Ruhe zu lassen. Während seines schlechten Zustandes hatte ich dafür ja Verständnis, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass das hier wohl generell zutrifft. Aber man hat ja ohnehin nichts mehr zu melden. Ich habe mich im Herzzentrum noch nicht einmal getraut, nach einer Pumpmöglichkeit zu fragen. Als ich nämlich meine Milchvorräte aus der Lachnerklinik nachholte damit sie hier eingefroren werden, hörte ich eine Schwester zur anderen sagen: "Sag der, dass die nichts mehr mitbringt, wo soll denn das alles hin!" Mitgeteilt wurde es mir etwas diplomatischer. Also pumpte ich nur noch zuhause ab und füllte meine Tiefkühltruhe in der Hoffnung, dass KEVIN dann da noch lange was von haben wird. Mittlerweile wurde es ja auch so langsam weniger. Kein Wunder, wann war ich denn bei der Hetzerei schon zuhause!

Donnerstag - KEVIN war genau zwei Wochen alt - untersuchte ihn ein Augenarzt. Um Hornhautschäden zu vermeiden, da das linke Auge aufgrund der Fazialisparese manchmal nicht richtig schloss, bekam KEVIN jetzt hin und wieder Salbe in das linke Auge. Wenn er schaute, sah er auf seinem linken Auge also nur trübe Schleier.

Montag, den 23.4.2001, kam die erste Herzkatheteruntersuchung.

Diesen Eingriff überstand unser Zwerg gut. Es gab keine uns bekannten Zwischenfälle. Wir waren heilfroh! Das Ergebnis würde man uns nach Auswertung der Videobänder mitteilen, das würde noch etwas dauern.

Zwischenzeitig erkundigten wir uns nach der Möglichkeit einer Verwandtenblutspende, da eine Eigenblutspende in KEVINs Fall aufgrund des Zeitdrucks nicht möglich war. Wir wurden aufgeklärt, dass Blut für Transfusionen in der Herzchirurgie ein monatelanges Monitoring durchlaufen, um Infektionen mit längerer Inkubationszeit auszuschliessen. Verwandtenspenden mache man nicht, da es sich hierbei quasi um "Inzucht" handeln würde und es zu schweren Gesundheitsfolgen kommen würde.

In der Zeit bis zur Auswertung der Bänder und der Mitteilung über die eventuellen Operationsmöglichkeiten ging ich mal wieder durch die Hölle.

Niemand sprach nunmehr so optimistisch von einer Zweikammerkorrektur. Nach wie vor schwebte dieses Damoklesschwert "hypoplastisches Linksherz" über uns. Ich wollte nur, dass mir nach diesem Herzkatheter jemand sagt, dass die linke Seite ausreichen würde und Norwood nicht zur Diskussion stehe. Ich hätte als Mutter nach diesen Wochen nie die Entscheidung fällen können, dass ich diese OP verweigere. Als das Mäuschen noch nicht geboren war und dieses zur Diskussion stand, habe ich es rational zwar nachvollziehen können, aber niemals endgültig vor dieser Frage stehen wollen. Es war eine einzige nervliche Zerreissprobe. Hin und wieder lief mir die Klinikpsychologin über den Weg. Meistens dann, wenn man sie eigentlich gar nicht brauchen konnte. Sie meinte es ja auch nur gut. Manchmal denke ich, selbst sie war mit mir überfordert.

Am Donnerstag, den 26.04.2001 wurden uns die Herzkatheterergebnisse mitgeteilt.

Der Chefarzt und der Professor der Kinderintensivstation setzten uns davon in Kenntnis, dass der Herzfehler sich so darstellte, wie man schon weitestgehend per Ultrschall sehen konnte. Anstelle des regulären Foramen Ovale habe KEVIN einen richtigen ASD I, der verhältnismässig klein sei. An der Trikuspidalklappe sei zwar Gewebe vorhanden, aber nicht sehr viel. Man müsse sehen,was man daraus plastisch verändern kann. Die Trikuspidalklappe sei darüberhinaus nicht richtig von der Mitralklappe getrennt, man sprach von einer gemeinsamen Klappenebene. Man muss sich vor Augen führen, dass im weiteren Verlauf nur deshalb von Trikuspidalis geredet wird, weil die Ärzte den Anteil der gemeinsamen Klappe als Trikuspidalis werteten, der rechts der Scheidewand zu sehen war und als Mitralis wurde das angesehen, was links der Scheidewand zu sehen war. Durch diese fehlerhaft angelegte Klappenebene wies KEVINs Herz auch in der Scheidewandebene jeweils oberhalb und unterhalb der Klappe Löcher auf. Der ASD II (oben), sei verhältnismässig gross und ging nahtlos in einen kleinen VSD (unten) über (AV-Kanal). Durch dieses senkrechte "Loch" ging waagerecht die gemeinsame Klappe. Der Mitralklappenanteil selbst sei sehr klein. Man könne momentan unter den vorherrschenden Druckverhältnissen bei offenem Ductus, nicht mit Bestimmtheit sagen, ob genug Blut durch sie in die linke Kammer fliessen kann. Die linke Kammer sei auch sehr klein. Die untere Spritze der linken Kammer ging auch nicht bis ganz unten in die Herzmitte.

( Hier werden wir zum besseren Verständnis noch versuchen, eine Skizze einzubauen).

Es wäre ein sehr schwieriger Fall. Man wisse so auch nach wie vor noch nicht, wie man operativ vorgehen werde.

Man bräuche daher unser Einverständnis für einen weiteren Katheter. Bei diesem wolle man den Ductusverschluss künstlich herbeiführen, um zu sehen, ob das linke Herz ausreicht. Ausserdem würde sich dann auch zeigen, ob eine Aortenisthmusstenose vorliegt. Dieser Herzkatheter sei für das Kind weitaus riskanter als der erste.

Der zweite Herzkatheter wurde für die kommende Woche Montag, den 30.04.2001 angesetzt. Die Ergebnisse würden uns aber nicht vor Mittwoch mitgeteilt werden, da Dienstag der 1. Mai-Feiertag sei, und keine Chirurgenbesprechung stattfinden wird.

Montag, den 30.04.2001 war die zweite Herzkatheteruntersuchung.

Am frühen Nachmittag erfuhr ich telefonisch, dass KEVIN jetzt wieder auf der Station sei. Das Punktieren der Venen wäre wohl sehr schwer gewesen und hätte lange gedauert. Ich musste noch warten, bis Thomas von der Arbeit kam und Simon übernahm, dann fuhr ich hin.

KEVINs linkes Bein war tiefblau angelaufen, der kleinste Zeh war fast schwarz!

Ich fragte, ob ich mich hier auf eventuelle Amputationen einstellen müsse. Es hiess beschwichtigend, dass solche Verfärbungen hin und wieder vorkämen und das würde schon wieder werden. Er bekäme Heparin. Komisch, keiner nannte das Wort "Thrombose", wäre dann für uns wohl zu einfach zu durchschauen gewesen. War mir aber auch so klar. Irgendwie hinderte mich ein äusserst komisches Gefühl in der Magengegend überhaupt einen Klappstuhl aufzubauen. Ich hatte das Gefühl, stehend einen besseren Überblick zu haben. Mir kam hier irgendetwas "faul" vor. Ich entschied, heute nicht nach Ablauf der Besuchszeit um 20.00 Uhr nach Hause zu fahren.

Gegen 17.00 Uhr sprach der Professor noch kurz mit mir. Leider würde die Aortenisthmusstenose vorliegen, das hätte der simulierte Dustusverschluss gezeigt. Weiteres müsse man noch besprechen.

Als ich wissen wollte, was für den Fall geplant ist, falls dieser Ductus jetzt bis zur endgültigen Abklärung des weiteren Vorgehens nochmal spontan zugehen würde und es somit nach diesen neuen Erkenntnissen dann zum kardiogenen Schock bei KEVIN kommen würde, hiess es: "Davon ist nicht auszugehen, wir geben seit heute nachmittag schon Prostaglandin." Meine Einwände, dass dieses eventuell doch bei so "alten" Babies (KEVIN war über 3 Wochen alt), eventuell nicht mehr wirke, wurden beiseite geschoben.

Ich versuchte klarzustellen, dass ich vermeiden will, durch einen akuten Ductusverschluss mit einer Notoperation konfrontiert zu werden, und als Ergebnis präsentiert bekomme, man habe jetzt Stufe I von Norwood machen müssen und KEVIN somit die Chance auf eine Zweikammeroperation verbaut.

Darüberhinaus fragte ich nach der Einstufung der Norwoodoperationen in der Fachliteratur. Ich wollte vermeiden, dass unser Kind eventuell eine Operationsmethode zugewiesen bekommt, die wissenschaftlich gesehen einen höheren Publikationswert hat, als andere. Der Professor war überhaupt nicht darauf gefasst, dass jemand solche Fragen stellt. Er konnte ja auch nicht wissen, dass ich beruflich seit Jahren sehr wohl mit dieser Thematik zu tun hatte. Ich wollte klarstellen, dass ich vermeiden will, dass KEVIN für irgendwelche Mediziner als wissenschaftliches Experiment herhalten soll.

Während der nächsten Stunden sprach ich auch andere diensthabende Ärzte auf meine Befürchtungen hinsichtlich der Möglichkeit auf den oben genannten kardiogenen Schock an. Keiner zog diese Variante in Erwägung - KEVIN sei doch so schön stabil. Momentan schon, das sah ich selber, trotzdem wäre es doch möglich. Alle wiegelten ab, verwiesen auf die in den nächsten Tagen folgenden Konferenzen, in denen man sich besprechen werde.

Gelagert, gepflegt, überwacht und behandelt wurde mein Kleiner aber trotzdem exakt genau so, wie es die mir nur zu gut bekannten Pflegeprotokolle für "hypoplastische Linksherzen" beschrieben. Als ich dieses dann auch durchblicken liess, war zumindest der Nachtschwester gar nicht mehr wohl dabei, dass ich darüber so viel wusste.

Gegen 20.50 Uhr wurde ich hinausgeschickt, man müsse KEVIN absaugen. Ich nutzte die Zeit, um Thomas telefonisch über den aktuellen Stand zu berichten. Als ich dann wieder oben war, durfte ich zwar rein, sollte aber noch vorne warten. Vom oberen Ende des Flures konnte ich sehen, wie sich kurz darauf hektisches Treiben in Richtung KEVINs Zimmer ausbreitete. Nach und nach verschwanden alle diensthabenden Ärzte in diese Richtung, weitere kamen noch auf die Station und schlossen sich an. Ich stand seit 35 Minuten oben im Flur und konnte sehr wohl ahnen, was da gerade los war!

Als ich nach insgesamt einer Dreiviertelstunde wieder vor durfte, war gerade ein Kinderkardiologe dabei, einen Ultraschall bei KEVIN zu machen, ansonsten war niemand mehr da. Überall auf KEVINs "Zubehörtisch" standen diverse Ampullen herum, mehrere Ca+ -Spritzen lagen bereit , teilweise schon verbraucht. Diesen Arzt kannte ich noch nicht. Er erklärte, jetzt nachzuschauen, ob sich vielleicht um das Herz herum durch den Kathetereingriff ein Bluterguss gebildet hätte. Es hatte sich keiner gebildet. Während der Ultraschalluntersuchung kam er mit dem Schallkopf an eine der EKG-Elektroden. Sofort zeigte der Monitor Frequenzen über 250 an und schlug Alarm. Das wären Ableitungsfehler, hiess es. Das war mir auch klar! Als der Arzt dann seine Utensilien zusammenräumte, ging die Herzfrequenz kontinuierlich und schnell nach unten. Auch hier gab es Alarm. Als die Nullinie auf dem Monitor erschien, sagte ich: " Das ist jetzt aber kein Ableitungsfehler mehr!" Der Arzt wurde nun aktiv und setzte KEVIN eine Ca+ -Spritze in den zentralvenösen Zugang. Kurz darauf setzte der Herzschlag wieder ein.

In dieser ganzen Zeit hielt ich die Hand und den Kopf meines Babies und war eigenartigerweise innerlich ganz ruhig. Ich wusste, was auch immer hier jetzt passiert, ich werde es nicht ändern können - aber ich bin wenigstens bei ihm und begleite ihn, egal in welche Richtung.

Gegen 22.30 Uhr kam der diensthabende Arzt auf mich zu uns sagte:

Er habe gerade mit dem Professor und dem Intensivstationsleiter telefoniert. Man wäre momentan auf der Station nicht sehr glücklich darüber, dass man mir heute nachmittag nicht mehr gesagt hätte. Er würde dieses jetzt tun. Es habe ein spontaner Ductusverschluss stattgefunden, vermutlich sei der Ductus nach dem Herzkatheter noch gereizt und hätte spastisch reagiert. Wir hätten jetzt den Zustand, von dem ursprünglich niemand ausgegangen sei. Man versuche nun, KEVIN mit konventionellen Mitteln zu stabilisieren. Man müsse abwarten, ob dieses gelingt. Es täte ihm leid, mir sagen zu müssen, dass der Kleine in diesem Zustand jedenfalls nicht operabel sei. Darüberhinaus wäre mit dieser zusätzlichen Trikuspidalklappe und dem übergrossen rechten Vorhof eine Norwoodoperation für KEVIN ohnehin nicht in Frage gekommen.

Das waren klare Worte. Vielleicht wunderte man sich, dass ich dies alles für eine "Mutter" äusserst gefasst aufnahm. Bis heute haben sich diese Worte in mein Gehirn eingebrannt, ebenso das Bewusstsein, genau dieses vorher geahnt zu haben, und keiner wollte es hören. Vermutlich war ich aber auch aufgrund unser Vorgeschichte so sensibilisiert, dass ich sofort merkte und fühlte, wenn irgendetwas nicht stimmte. Andere Mütter wären jetzt vielleicht zusammengebrochen, ich erinnerte mich nur daran, was Thomas und ich uns Ostersonntagnacht gegenseitig versprochen haben:

"... derjenige von uns, der bei KEVIN ist, hat die Verantwortung dafür, dass sich der Kleine "sicher" fühlen kann. Er muss das Gefühl haben, wir sind stark und begleiten ihn. Egal, in welcher Situation und egal, wohin sie führt. Wenn er von uns gehen muss, soll er nicht das Gefühl mit auf den Weg bekommen, er mache etwas falsch...".

Die Verantwortung vor Ort hatte in dieser Nacht ich. Als ich das nächste Mal zum Telefonieren nach unten ging, um Thomas von diesem kardiogenen Schockzustand zu berichten, war es 0.30Uhr. In dieser Nacht hatte ich erst um 4.00Uhr das Gefühl, dass KEVIN es schaffen wird. Mit der Bitte an Nachtschwester Connie, gut bis nachher auf mein Mäuschen aufzupassen, fuhr ich dann heim.

Schwester Connie nenne ich beim Namen, weil sie mir schon vorher während ihrer Nachtschicht die Möglichkeit einräumte, abends schon gegen 20.30Uhr, direkt zum Schwesternschichtwechsel und der Übergabe zu klingeln, um dann mit ihr die Pflegerunde zusammen zu machen. Sie würde dann auf mich warten, wenn sie wüsste, dass ich vorne bin. Sie hatte in den wenigen kurzen Gesprächen mit mir herausgehört, dass ich sehr traurig darüber war, immer nur vorne zu warten, und dann erst ins Zimmer zu dürfen, wenn mein Kind schon versorgt war, obwohl ich mich doch so beeilt hatte. Ich hatte KEVIN teilweise tagelang nicht mehr nackt gesehen, durfte ja mitunter nicht einmal die Decke heben, um ihn anzuschauen geschweige denn, ihn zu Wickeln oder ähnliches. Nur zu dankbar nahm ich damals ihr Angebot an. Während ihrer Schicht ist unser KEVIN einige Wochen später gestorben. Es ist ihr sehr nahegegangen. Ich schicke ein sehr trauriges "Danke für alles" an dieser Stelle an sie.

Thomas zuhause war noch wach. Zusammen versuchten wir, diese vorangegangenen Stunden zu verarbeiten. Bei mir setzte so langsam auch ein Schockzustand ein. Erst jetzt kam diese Riesenwelle an Belastung bei mir an. Es wurde mal wieder eine von vielen schlaflosen Nächten.

Dienstag (Maifeiertag, kein Kindergarten, keine Schule), fuhren wir abwechseln zu KEVIN. Er hielt sich stabil. Das linke Bein sah etwas besser aus, war aber nach wie vor sehr blau. Es war auch noch keine Puls am Bein messbar. Die Ärzte hielten sich uns gegenüber nach dieser Nacht total bedeckt. Wir sollten uns bei speziellen Fragen über weitere Vorgehensweisen jetzt an nur einen Arzt wenden, das wäre besser, als eventuell verschiedene Aussagen zu erhalten. Für uns wäre der Professor der Ansprechpartner. Wir meinten dazu, dass es ja wohl kaum sein könne, dass wir mir jeder Frage erstmal den Professor irgendwo im Haus aufsuchen müssten, der sicherlich auch andere Dinge als uns im Kopf habe. Man erklärte dann einen Oberarzt als zuständig. Ansonsten war ich nur froh, dass mein Kleiner überhaupt noch da war und sich stabil hielt. Wir wurden noch beruhigt, dass jetzt, so lange nach der Untersuchung auch nicht mehr von weiteren spastischen Reaktionen des Ductusses auszugehen sei. Glauben will man eigentlich nicht mehr, man kann nur hoffen...

                                                       


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