KEVINs erste OP
(Aortenisthmusstenose)
Aus Sicht der Mutter:
Mittwoch war diese Besprechung des Herzkatheters.
Der Leiter der Intensivstation, die Klinikpsychologin (warum eigentlich?) und wir beide waren anwesend. Der Professor der Kinderkardiologie kam kurz darauf auch hinzu. Man erklärte uns, man werde sobald KEVIN sich noch etwas erholt hat, operieren müssen, das habe uns die Nacht nach dem zweiten Herzkatheter deutlich gezeigt. Sein Zustand ließe aber eine große OP mit Herz-Lungen-Maschine nicht zu. Man werde jetzt nur eine OP wagen, die für ihn das kleinste Risiko mit sich bringen würde. Selbst diese wäre schon aufgrund der Körpergrösse und des Körpergewichtes sehr riskant. KEVIN wog zu diesem Zeitpunkt noch etwa genausowenig wie bei der Geburt, ca. 2500g. Man habe jetzt vor, die Aortenisthmusstenose zu beseitigen. Danach sei das Ziel, dass der Kleine möglichst erstmal gedeien kann und man die grosse OP dann vielleicht erst in einem halben Jahr machen müsse. Dann wäre das Kind und somit auch sein Herz doppelt so groß.
Auf unsere Frage, um welche Art "großer OP" es sich denn dann handeln würde, hieß es (für mich wie eine Erlösung klingend), man werde nach wie vor eine Zweikammerkorrektur anstreben. Prinzipiell seien alle Defekte operabel. Ich erwiderte daraufhin, diese vielen Defekte hätte er aber besser auf mehrere Kinder verteilen sollen.
Anm.: Mittlerweile entwickelte sich bei uns eine sehr zynische Ader, aber irgendwie muss man ja zusehen, dass man nicht selbst kaputtgeht.
Der Professor ging nochmals auf meine am Montag geäusserten Befürchtungen hinsichtlich des Publikationswertes bestimmter OPs ein. Er betonte nachdrücklich, man sehe hier das GANZE Kind und keine wissenschaftlichen Experimente. Ziel sei es immer, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Ich scheine ihn mit meiner Frage doch sehr getroffen zu haben. Kann aber auch nicht schaden, wenn Eltern die Vollkommenheit der Ärzte hin und wieder in Frage stellen.
Man klärte uns auf, wie diese bevorstehende erste OP aussehen würde.
Man werde die sanduhrförmige Verengung der Aorta heraustrennen und End-an-End wieder zusammenfügen (Resektion der Aortenisthmusstenose und End-zu-End-Anastomose). Durch das fehlende verengte Stück würde auch gleichzeitig der Ductus Botalli wegfallen. Man werde die gebogene Aorta hinten, an der "Innenkurve" der Biegung durchgehend nähen. Die "Aussenkurve" des Aortenbogens müsse die Möglichkeit behalten, mitzuwachsen, daher werde man hier nebeneinander einzelne Stiche setzen.
Wir versuchten uns diesen "Nähvorgang" bei einer Aorta mit einem maximalen Durchmesser von 3 mm bildlich vorzustellen, liessen es dann aber bleiben. Für uns war es beeindruckend, dass solche filigranen OPs schon als Routine gelten.
Man werde unter dem linken Arm ansetzen und die Rippen auseinanderspreizen, um seitlich an die Aorta heranzukommen. Der Schnitt sei recht groß und verliefe dann auf der Rückenseite von KEVIN wieder aufwärts. Aber man werde nicht durch von vorne durch den Brustkorb müssen. Die Operation sei für morgen geplant. Man wolle und könne nicht mehr warten.
Die Risiken wurden uns danach aufgezeigt:
1.) Nervenverletzungen:
Um den Aortenbogen herum verliefe der Stimmnerv, dieser könne insofern verletzt werden, dass unser Kind danach eine leise, krächzende Stimme haben könnte. Dieses würde man erst nach dem Extubieren erkennen. Eine Zwerchfellparese könne eintreten, wenn der ebenso um den Aortenbogen verlaufende, entsprechende Nerv geschädigt werde. Das Kind würde dann atmen wie ein Asthmatiker und müsse dann lernen, aktiv mit zu atmen (Brustatmung). Dieses würde man nach der OP direkt per Ultraschall sehen.
2.) Querschnittslähmung (Sekundärschaden wg. Sauerstoffunterversorgung):
Wäre relativ unwahrscheinlich, weil KEVIN noch so jung sei. Diese OP würde man auch möglichst sofort im Neugeborenenalter machen, da die jungen Babies noch Umgehungsblutkreisläufe ausnutzen können. Während der OP werde die Aorta durchtrennt und somit die untere Körperhälfte nicht mehr durchblutet. Bei den ganz kleinen Babies gäbe es aber eine Vielzahl an kleinen, dünnen Adern, die für diese Zeit die Versorgung übernehmen. Bei größeren Kindern sei das nicht mehr der Fall, hier müsse man für die Dauer der OP schon einen entsprechenden Bypass legen. Trotzdem müsse man uns auf die Möglichkeit einer Querschnittslähmung hinweisen, denn es gäbe natürlich keine Garantie.
3.) Infektionen, Blutungen, Thrombosen und Embolien:
War uns klar! Bei solch einem Eingriff muss man ebenso wie bei allen anderen Operationen mit diesen Komplikationen rechnen. Für eventuelle Bluttransfusionen gaben wir unser Einverständnis.
Danach verabschiedeten wir uns von unserem Mäuschen. Ich war seit Montag verschnupft und sowieso schon die letzten Tage nur mit täglich ausgetauschten Kitteln und Mundschutz bei ihm gewesen. Jetzt, unmittelbar vor der OP traute ich mich gerade noch bis ins Zimmer, gar nicht mehr ans Bett. Ich wollte nicht, dass sich mein Kleiner vielleicht noch zusätzlich von mir überflüssige Bakterien einfängt. Es war ein furchtbares Gefühl, zu gehen, und nicht zu wissen, ob man ihn morgen noch lebend vorfindet.
Diese Nacht verbrachte ich mal wieder fast schlaflos. Immer wenn ich eingeschlafen war, kamen Albträume. Aber auch so eine Nacht geht zu Ende. Am nächsten Morgen brachte ich Simon wie immer in den Kindergarten und stürzte mich in meinen Haushalt. Irgendeine Ablenkung musste ja her. Um etwa 11.00 Uhr wurde KEVIN zur Vorbereitung auf die OP abgeholt. Danach fieberte ich wie eine eingesperrte Ratte jede Minute, dass bloß nicht dieses Telefon klingelte! Gegen 14.00 Uhr holte ich Simon wie immer vom Kindergarten ab. Vom Spielplatz aus telefonierte ich dann halbstündlich mit der Intensivstation, ob KEVIN schon wieder da sei. Gegen 16.00 Uhr war er es!!! Er lebte und die OP war ohne uns bekannte Zwischenfälle verlaufen. Jetzt nur noch warten, bis Thomas kommt und dann besprechen, wer als Erster hinfährt. Wir fuhren dann alle zusammen. Während einer mit Simon auf dem nahegelegenen Spielplatz war, konnte der andere zu KEVIN.
Unser Kleiner war sehr aufgedunsen. Er bekam Morphin und reagierte auch nicht. Das sollte auch so sein. Mit Sicherheit hätte er ansonsten sehr starke Schmerzen gehabt, jeder von uns, der einmal nur eine Rippenprellung oder -fellentzündung gehabt hat, kann sich vielleicht vorstellen, was eine Rippenspreizung hinterlässt. Dadurch entstehende Schmerzen an der Wirbelsäule negierte der Arzt bei so kleinen Babies. |
Ein Ultraschall hatte schon gezeigt, dass das Zwerchfell offensichtlich nicht gelähmt sei. Aufgrund seiner starken Sedierung und der noch andauernden Narkose, war mit Bewegungen in der unteren Körperhälfte noch nicht zu rechnen. Die Angst vor der Querschnittslähmung blieb, ebenso wie die Sorge, ob der Stimmnerv in Mitleidenschaft gezogen worden war...
<
weiter zu "Nach der ersten Operation im Herzzentrum"
<
zurück zu "KEVINs Geschichte"